Rede von Rosalie Starke zum Jahreseinstieg

Guten Abend,

Ich freue mich sehr darüber heute hier sein zu können und die Möglichkeit bekommen zu haben, vor euch sprechen zu dürfen.

Bevor ich euch ein bisschen dazu erzählen werde, warum ich heute hier stehe, möchte ich euch darum bitten, sich mit mir folgendes Bild in den Kopf zu rufen. Es ist ein Bild, dass mir schon seit Wochen in meinem Kopf herum schwirrt und dass mich einfach nicht mehr loslässt.

Es ist das Bild eines Mannes, ende seiner Dreißiger, mit blauen Augen und blassen Wangen. In seiner einen Hand hält er eine Geige, in seiner anderen den Bogen. Sein Kopf ist leicht zur Seite geneigt, seine aufgeplatzten Lippen sind zu einem kleinen Lächeln verzogen. Dick eingepackt ist er und trotzdem sieht man ihm an, dass er friert. Von Oben sieht er auf euch herunter und lächelt. Ihr könnte gar nicht anders, als zurück zu ihm zu lächeln. Er hat etwas in seinem Blick, was euch ganz und gar ergreift… Seine Musik lässt euer Herz leise tanzen. Es kommt euch wie Magie vor, wo ihr euch doch noch vor wenigen Sekunden in einem Sorgenstrudel befunden habt, der euch immer weiter hinab gezogen habt. Ihr seit ganz und gar fasziniert von dem Mann mit der Geige. Steht minutenlang bloß da und hört ihm zu. Und ihr fragt euch, was es in seinem Blick ist, was euch so berührt. -So wie es mich vor vier Wochen fragte.

Ich hoffe, ihr habt ihn nun das Bild dieses Mannes vor Augen. Gleich werde ich noch auf ihn zurückkommen, doch vorher kurz etwas zu mir.

Mein Name ist Rosalie, ich bin siebzehn Jahre alt und momentan mache ich mein Abitur auf dem Berufskolleg Castrop-Rauxel im Bereich Erziehung und Soziales. Seit etwa zwei Jahren bin ich nun schon als Sprecherin der FridaysforFuture Ortsgruppe Castrop-Rauxel tätig und seit etwa einem Jahr bei der grünen Jugend Mitglied. Auch sonst mache ich hier und da bei einigen Projekten zum Thema Nachhaltigkeit mit und gerade, wenn ich dadurch in den Austausch mit anderen Menschen gelange, macht es mir eigentlich immer besonders Spaß.  Aus diesem Grund möchte ich heute gerne ein bisschen etwas darüber erzählen, wie man überhaupt über das Thema Klimakrise sprechen sollte und wie ich als Aktivistin auf die aktuelle Lage blicke.

Vor etwa einem halben Jahr habe ich im Zuge eines Klimacamps an einem Workshop teilgenommen, der unter dem Namen ‚Speechless‘ lief und dieser hat sich genau mit diesem Thema auseinandergesetzt. Da die Klimakrise etwa so Großes und kaum in Worte zu fassendes ist, etwas was bei vielen Menschen auch Gefühle wie Angst oder Hoffnungslosigkeit auslöst, sie in sprachloses Entsetzten stürzt, war der Titel dieses Workshops ziemlich gut gewählt, wie ich finde. Und er hat mich in vielerlei inspiriert ein paar der darin vermittelten Gedanken weiterzutragen.

So sind die Fakten den meisten von uns doch klar. Die verstärkte Konzentration an Treibhausgasen führt dazu, dass wir Menschen Stück für Stück unsere eigene Lebensgrundlage zerstören. Schon jetzt sorgt eine durchschnittlich globale Erderwärmung von 1,2° dafür, dass Trockenheit und Extremwetterereignisse beträchtlich zu genommen haben und die Ernährungssicherheit vieler Länder abgenommen hat. Hitzewellen nahmen in den vergangen Jahren in Europa, Asien und Australien zu und viele Ökosysteme stehen kurz vor dem AUS. Klimaaktivistin und Klimawissenschaftler halten ihre Warnschilder hoch, warnen uns davor, so weiter zu machen, wie bisher, doch die Veränderungen kommen langsam.

Die Probleme sind uns allen bekannt. Viele von euch setzten sich schon seit Jahren dafür ein, dass sie kleiner werden und trotz zahlreicher Versuchungen und Bemühungen, steuern wir als Menschheit auf eine Zukunft zu, in der es unrealistisch ist, dass das 1,5° Grad Ziel noch eingehalten wird.

Es ist menschlich bei der Vorstellung unserer Zukunft Angst zu bekommen! Es ist menschlich davor weglaufen zu wollen! Es ist menschlich in einem Zeitalter multipler Krisen das Gefühl zu bekommen, das eigene Handeln könne kaum noch etwas bewegen. -Es ist menschlich.

Doch wenn wir anfangen darüber zu schweigen, wie wütend wir sind, wenn wir hören, dass Deutschland sich zu Schön für Tempolimit ist! Wenn wir nicht mehr sagen, dass wir Angst davor haben, welche Katastrophen uns in Zukunft blühen werden! Wenn wir verdrängen, dass es uns Sorgen bereitet, wie die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder aussehen wird! -Dann fangen wir an all diese Ängste in uns hinein zu fressen und fangen uns an emotional vom Thema zu distanzieren.

Dies ist menschlich! Wir können mit dieser Angst nicht dauerhaft leben und gleichzeitig nicht dabei wahnsinnig werden…

Aber genauso wenig können wir ihr keinen Raum geben und sie in den hintersten Winkel unserer Gedanken schieben. Denn dann wird sie zu einer Last, die wir mit uns tragen müssen! Dann wird es immer schwerer sie in Worte zu fassen und damit auch immer schwerer über die Klimakrise an sich zu sprechen. -Weil sie mit Hoffnungslosigkeit verbunden ist. Weil sie mit Angst verbunden ist. Weil sie mit Leid verbunden ist.

Oder wie es bei den Psychologysts for Future heißt: „Der Klimawandel ist eine psychologische Krise, was es auch immer sonst ist.“ -Wir dürfen nicht ignorieren, was der Kampf gegen den Klimawandel für einen inneren Kampf auslösen kann.

Ich frage euch: Was macht die Klimakrise mit uns?

Sie reißt uns schon in unseren Gedanken den Boden unter unseren Füßen weg, bevor sie es tatsächlich tut. 

Sprachlos blicken wir auf das Geschehen. Dabei tut es so gut, darüber zu sprechen. Mit Kindern, mit Jugendlichen… Ihre Sorge vor der Zukunft ernst zu nehmen und sie nicht mit einem „Das wird schon“ abzufertigen. Denn zumindest ein Jugendlicher weiß um die Faktenlage und kann sehr gut einschätzen, dass dies entweder eine eiskalte Lüge oder ein ungesunder Optimismus ist. Stattdessen müssen wir gegenüber uns selbst ehrlich sein und zueinander.

Erinnert euch an das Bild des Mannes, um dass ich euch am Anfang gebeten hab vorzustellen? Erinnert ihr euch an seinen Blick und wie ihr euch fragtet, was euch in diesem so berührt?

Vor vier Wochen war ich in Lützerath. 35.000 tausend Menschen haben dafür demonstriert, dass die Kohle unter dem Dorf nicht in die Luft gelangen darf. 35.000 Menschen sind bei Eiseskälte und Nieselregen durch den Schlamm gestapft und haben dafür demonstriert, dass Klimagerechtigkeit kein leeres Versprechen mehr sein darf.

Und ich kann sagen, auch wenn es mich glücklich gestimmt hat, dass so viele Menschen bereit sind bei Wind und Wetter auf die Straßen zu gehen, teilweise eine solch weite Reise auf sich zu nehmen, um für Klimaschutz auf die Straße zu gehen, hätte es weitaus schönere Aktivitäten gegeben, die man an einem verregneten Samstag hätte machen können. Trotzdem hätte ich dieses Erlebnis um nichts in der Welt eintauschen wollen.

Für mich ist die Klimakrise auch etwas Beängstigendes, Bedrückendes, Hoffnungsloses. Und egal wie wichtig für mich das Ganze ist, würde ich wahrscheinlich nicht länger Teil der Klimabewegung sein, wenn ich nicht dort auch etwas finden würde, was dieser ganzen Angst entgegensetzt. Etwas, was ich auf der Demo in Lützerath gefunden habe. In dem Blick eines Mannes, der abseits des Stroms stand. Auf dem Wall stand und auf mich herunter schaute, Geige spielte und lächelte. Im Angesichts von so vielen Dingen, die einem das Lächeln von den Lippen wischen können. -Hoffnung.

Der Glaube daran, dass noch nicht alles verloren ist. Dass es noch etwas Gutes, auf dieser Welt gibt. Dass wir das durchstehen können, irgendwie!, und dass wir auch trotz multipler Krisen fähig sein zu können, zu lieben, zu lachen, zu leben. Als gäbe es kein Morgen mehr! Vielleicht warum es dabei im Leben auch nicht geht!

Es ist ein schöner Gedanke… Er macht auch mir Hoffnung. Diese Art von Hoffnung macht es möglich mit dem Gedanken an die Klimakrise umgehen zu können, mit der Angst umgehen zu können. Denn auch wenn wir für die Zukunft handeln müssen, müssen wir gleichzeitig auch im Jetzt leben.

Hier in diesem Raum befinden sich sicherlich viele Menschen, die diese sich teilweise auch wiedersprechenden Gefühle kennen. Diese riesengroße Angst und trotzdem auch dieser Gedanken, des nicht aufgeben wollen. -Des Lebenswillens. Der, der Hoffnung.

Es sieht momentan nicht gut aus für uns, ja das stimmt, aber wer wären wir, wenn wir nicht trotzdem weitermachen würden? Glauben würden, dass unser Handeln noch etwas bewegen kann? Darüber sprechen würden, weil wir nicht darüber schweigen wollen. -Weil es uns wichtig ist!

Abschließend kann ich euch also nur wünschen, dass ihr auch euren persönlichen Mann mit der Geige findet. Menschen mit Hoffnung im Blick! Und dass ihr euch diese Bilder aufbewahrt, wie ich mir dieses Bild aufbewahre. Und immer, wenn ihr denkt, ihr könnt nicht mehr mit dieser Angst umgehen, es schafft euch diese Bilder in den Kopf zu rufen. Denn wenn wir es schaffen trotz der Klimakrise uns diese Hoffnung zu bewahren, ist dies vielleicht das Beste, was wir machen können.